Ich wuchs in einem alten Haus auf, einem Gebäude mit verwinkelten Ecken und dunklen Fluren.
Wir lebten unterm Dach, in einem Zimmer, das direkt unter dem knarrenden Gebälk lag und nachts nur von einem schmalen Mondstrahl beleuchtet wurde, der durch das kleine Dachfenster fiel.
Der Mond – ich sah ihn an, und er schien zurück.
Für andere mag er ein sanftes, beruhigendes Licht werfen, doch für mich war es gespenstisch. Es war, als hätte er etwas Unaussprechliches auf mich herabblicken wollen.
Jeden Tag musste ich die alten Zeitungen in kleine Stücke schneiden.
Mama sagte, wir brauchten sie… na ja, für die Toilette. Das Papier war rau und liess schwarze Flecken auf meinen Fingern zurück, die aussahen, als hätte ich in Erde gegraben.
Wenn ich fertig war, sprang ich schnell auf und lief aus der dunklen Kammer. Das grosse Loch dort schien alles zu verschlucken – die Geräusche, das Licht und sogar die Wärme. Es fühlte sich an, als würde das schwarze Loch auf mich warten, gross und gähnend wie ein hungriger Mund.
Also lief ich, so schnell ich konnte, die Treppen hinauf und liess das Plumpsklo weit hinter mir.
Ich wollte draussen im Garten spielen gehen – in einer Welt voller Licht und Farben. Eine Welt, die nur mir gehörte.
Im Garten war alles anders. Die Luft roch nach Erde und frischem Gras, und ich konnte den Wind hören, wie er sanft durch die Bäume strich. Wenn ich aus unserem Haus trat und mich auf mein kleines Dreirad schwang, wurde die Fahrt in den Garten für mich jedes Mal zu einem grossen Abenteuer.
Die Räder rumpelten über den Boden, während ich mit entschlossenem Lächeln durch die Beete kurvte und mich schliesslich am Ende des Gartens niederliess, wo eine kleine Wasserstelle lag, umgeben von Gräsern, die in die Höhe wuchsen.
Der magische Ort voller kleiner, lebendiger Wesen – besonders faszinierten mich die Marienkäfer, die über die Blätter liefen und zwischen den Grashalmen huschten. Eines Tages, während ich den Marienkäfern zusah, kam mir ein Gedanke: Sie brauchen eine Brücke über die Wasserstelle.
In meiner kindlichen Fantasie stellte ich mir vor, wie sie, winzige, tapfere Entdecker, die Grenze zwischen einer Welt und der nächsten überwinden wollen. Und so begann ich, kleine Stöckchen und Blätter zu sammeln, legte sie sorgsam übereinander und baute eine Brücke.
Ich sah sie vor mir, wie sie über die Brücke krabbelten; die Sonne glitzerte auf ihren kleinen, roten Rücken, und ich lächelte. Im Garten der Magie, mit all seinen kleinen Lebewesen, war ich sicher. Nichts konnte mich erreichen.
Die Jahre vergingen, und oft dachte ich zurück an diese Brücke. Sie war mehr als nur ein Haufen Stöckchen über einer Wasserstelle – sie war ein Monument meiner kindlichen Fantasie, ein Zufluchtsort vor dem unheimlichen, dunklen Haus, in dem wir wohnten. Sie lehrte mich etwas über die Kraft der kleinen Dinge.
Diese winzigen Details – ein Dreirad, das durch die Beete rumpelt, das Flüstern des Windes, die winzigen Marienkäfer – hielten die wahre Magie des Lebens in sich. Und genau wie diese Brücke hielt auch ich etwas Unausgesprochenes in mir, eine Verbindung zwischen der Welt der Schatten und der Welt des Lichts.
Heute, wenn ich schreibe, greife ich auf die Erinnerung an diese kleine Brücke zurück. Jeder Text ist für mich eine Brücke, die den Leser aus seiner eigenen Welt entführt und ihm zeigt, dass selbst im Alltag das Unheimliche lauert – oder die Schönheit, wenn man genau hinsieht.
Es sind die feinen Details, die ich auf den Seiten ausbreite, die kleinen Erinnerungen, die wie rote Fäden durch meine Texte laufen und die wahre Bedeutung versteckt halten.
Ich denke zurück an den Garten, an das dunkle Loch des Plumpsklos und den stillen, unheimlichen Mond. Die Schatten und die Schönheit sind so nah beieinander, dass sie sich oft überschneiden, und genau das macht das Leben – und das Schreiben – so faszinierend.
Es ist die Mischung aus Licht und Dunkelheit, die uns eine neue Perspektive eröffnet und uns zeigt, dass auch das Unheimliche, das Kleine und das Verborgene unsere Geschichte lebendig macht.
Wie sieht es mit deinen eigenen Erinnerungen aus? Gibt es Details aus deiner Kindheit, die für dich eine besondere Bedeutung haben? Vielleicht ist es an der Zeit, diese Erinnerungen zurückzuholen und die Kraft der kleinen Dinge zu spüren – und in deinem eigenen Leben oder in deinen Geschichten zu verwenden.
Ah, der Garten – eine sanfte Welt, wo die Melodie der Bäche und das Flüstern des Windes wie süsse Musik die Seele umspielen. Ist es nicht merkwürdig, wie ein Kind, das nichts besitzt als seine schlichten Spielsachen und seine Träume in einem solch stillen Flecken finden kann?
Wahrlich, es bedarf wenig mehr als einer grünen Wiese und einem Bach, dass der Geist sich erhebt und in den Wundern der Natur die grösste Zuflucht findet.
Für mich, mit dem Herz eines Kindes ist der Garten kein gewöhnlicher Ort, sondern ein Reich voller Geheimnisse, wo winzige Kreaturen wie die Marienkäfer zu tapferen Reisenden werden und jeder Grashalm ein Tor zu einer anderen Welt darstellt.
O ja, es ist der magische Ort, der uns daran erinnert, dass die kleinsten Dinge oft die tiefste Bedeutung bergen – so zart und dennoch von solcher Beständigkeit, dass sie uns ein ganzes Leben lang begleiten. In diesen kleinen Wesen und den winzigen Details liegt die Kraft, die uns still die grossen Lektionen des Daseins lehrt: wie alles wächst, blüht und vergeht, wie selbst der kleinste Käfer ein ganzes Königreich zu tragen scheint und wie wir in diesen Augenblicken lernen, dass die Welt – so vergänglich sie auch ist – uns für einen Moment ganz gehört.
Wohl weiss ich, dass die Schatten der Nacht und das Mondgesicht, das auf die Dächer herabschaut, auch jene Dunkelheit in uns allen widerspiegeln. Doch dort, in der Einsamkeit des Gartens, wird das Herz leicht und frei.
Denn ist nicht die Natur die wahre Bühne des Lebens?
Hier, wo die Zeit im sanften Strom des Baches verweilt, können wir für einen Augenblick jene Ewigkeit erahnen, die jenseits all unserer Sorgen ruht.
Drei Wege, um mit Worten Brücken zu bauen: